Das altdarwinistische Denkkollektiv und seine Auflösung: die phylogenetische Anpassung als zentrales Dogma und Schwachstelle des Traditionsdarwinismus

Karl Edlinger

Einleitung

„….. aber DARWIN und seine Schüler waren einer Untersuchung, worin die Mimikry bestehe, einer begrifflichen Analyse der Mimikryerscheinungen ganz abgeneigt; sie griffen vielmehr nur einzelne, anekdotenartig sich bietende Fälle der Nachahmung auf und legten das größte Gewicht auf deren Erklärung. Noch heute über die nachdarwinistischen Philosophen diese Methode: die Erklärung der Mimikry interessiert sie viel mehr, als die Tatsache der Nachahmung und ihre verschiedenen Formen selbst.“ (E. Rádl 1909, s. 263).

Diese Zeilen, die der Prager Biologiehistoriker Emanuel Rádl vor mehr als einem Jahrhundert zu Papier brachte, scheinen auch heute noch ihre Gültigkeit zu besitzen und auch geeignet, die Beispiele, die von Vertretern des klassischen Darwinismus und seiner moderneren Weiterentwicklungen angeführt werden, weitgehend zu charakterisieren. Nicht nur daß diese spezielle Tendenz des Darwinismus, der eigenartige, aber angesichts einer problematischen Beweislage notwendig anekdotenhafte Stil in der Vorstellung angeblicher Evidenzen.
Entgegen Rádls Vermutung, die sich auf kritische Stimmen schon unmittelbar auf ihre Vorstellung stützte, legte die Mimikrytheorie eine erstaunliche Zähigkeit und Langlebigkeit an den Tag und wurde im vergangenen Jahrhundert noch sukzessive ausgeweitet. Und dies, obwohl eine erdrückende Zahl von Argumenten gegen sie sprechen (Heikertinger 1954, s. auch Edlinger 2009).
Sie begründet scheinbar die Hauptsäule des Darwinismus: die in vielen Fällen zur absoluten Gewißheit hochstilisierte Vermutung einer stammesgeschichtlichen Anpas-sung der Lebewesen an ihre Umwelt, die nach dem Modell der Züchterpraxis erklärt und begründet wurde.
Diese Resistenz beruht auf einer dogmatischen Verallgemeinerung sorgsam ausge-wählter Einzelbeispiele. Und ähnlich wie im Fall der Mimikry wurden in den letzten eineinhalb Jahrhunderten auch andere „Beweise“ für die Anpassungs- und Züchtungsmetapher gefunden, die für eine besonders enge Beziehung zwischen Organismen und Umwelt stehen. Natürlich fallen auch sie durch Selektivität auf. Wobei zusätzlich ihr Zustandekommen zumeist nicht hinterfragt wird, weil eine durch züch-tungsanaloge Anpassungsprozesse bewirkte Anpassung als selbstverständlich vorauge-setzt wird.
Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Grund für die Selbstverständlichkeit und Kritiklosigkeit, welche den Diskurs gerade in bezug auf die Anpassungsmetapher charakterisieren, liegt in einem inflationären Gebrauch des Begriffs „Anpassung“ bzw. Adaptation, der  letztlich alle Eigenschaften als Anpassungen bezeichnen läßt, die nicht unmittelbar zum Untergang eines Organismus führen.

Der Traditionsdarwinismus

Der Philosoph und Mediziner Ludvik Fleck (1980) prägte in seinen Arbeiten zur Wissenschaftstheorie die Begriffe „Denkkollektiv“ und „Denkstil“. Darunter verstand er, wie sich aus seinen Publikationen erschließen läßt, Gruppen von Wissenschaftlern, die in den von ihnen abgedeckten Disziplinen ganz spezifische Denkwege (Denkstile) und, daraus resultierend, Forschungsansätze etablieren. Sie werden aber nicht nur als bestimmte Wege der Forschung und Interpretation von Forschungsergebnissen behandelt, sondern beginnen zumeist nach kurzer Zeit, den Forschungs- und Publikationsbetrieb zu dominieren. In einem Grad zu dominieren, der zumeist für alternative Ansätze keinen Raum mehr läßt oder diese wenigstens an den Rand drängt und sie weitgehend vom Publikationsbetrieb in den etablierten Medien, vor allem Zeitschriften, ausschließt.
In der Biologie bildete sich schon mit der Etablierung des Evolutionsdenkens ein solches Denkkollektiv heraus. Nachdem verschiedene Ansätze diskutiert worden waren, setzte sich der klassische Darwinismus, der aber nicht nur auf Charles Darwin zurückgeht, sondern ebenso auf mehrere Vorläufer und vor allem auch auf den zeitgleich mit Darwin publizierenden Alfred Russel Wallace, eine Denkweise und –tradition durch, die den Wandel der Organismen im Laufe der Erdgeschichte hauptsächlich auf Selektion durch die Umwelt und damit auf Anpassung an bestimmte Anforderungen, die natürlich durch Umwelteinflüsse und –eigenschaften definiert werden, zurückführt.
Dies hatte zur Folge, daß andere Erklärungsversuche, vor allem solche, die die aktive Rolle der lebenden Organismen betonten und betonen, wenig Beachtung finden, ja daß ihnen teilweise sogar die Wissenschaftlichkeit abgesprochen wird.
Alle zeitlichen Ausformungen und Spielarten des Darwinismus fußen auf diesem zentralen Dogma, das durch Charles Darwin selber, vor allem indem er es in die Form einer Metapher kleidete, zum vermeintlich unangreifbaren Rückgrat seiner Theorie hochstilisiert wurde: der Anpassung an Erfordernisse der Umwelt, in der Organismen leben.
Als natürliche Zuchtwahl der künstlichen, also durch den menschlichen Züchter praktizierten gegenübergestellt, wurde sie durch alle Erweiterungen der Darwinschen Theorie als scheinbar unverzichtbarer Bestandteil mittransportiert. Es waren die Begründer und bis heute prominentesten Vertreter der Synthetischen Theorie der Evolution, welche die prominente Rolle der Adaptation oder Externanpassung in einem Grad zementierten, daß auch die meisten alternativen Vorstellungen, die aus verschiedenen Forschungsergebnissen zwangsläufig folgten, im Gewande der Anpassung, quasi getarnt, vorgestellt wurden und werden.
Bei Ernst Mayr werden dabei Immunisierungsstrategien sichtbar, die aus der postulierten stammesgeschichtlichen Anpassung quasi ein metaphysisches Prinzip machen, das frappant an die „Allmacht der Naturzüchtung“ nach August Weismann (1892) erinnert. Mayr fordert für den Fall, daß eine adaptationistische Begründung für ein Merkmal fehlschlägt, unumwunden, eine andere Hypothese zu versuchen, wogegen an sich vom Standpunkt wissenschaftlichen Begründens aus nichts einzuwenden ist. Mayr schreibt aber vor, eine andere adaptationistische Begründung zu versuchen, und bei deren Scheitern wieder eine andere, die Suche nach Alternativen also rigoros einzuschränken. Wenn schließlich gar keine mehr zu finden sei, solle man eben auf einer höheren Ebene wieder ansetzen und die Ebene, in die das Merkmal integriert sei, auf ihre adaptationistische Herleitbarkeit untersuchen und dies bis auf die Ebene des Gesamtorganismus fortsetzen.
Auf diese Weise wird ein unendlicher Regreß in Gang gesetzt, der auch bei ständigem Scheitern letztlich die Möglichkeit einer sehr dürftigen adaptationistischen Begründung offenläßt.
Parallel zur dieser eher von Dogmatismus geprägten Geschichte des Darwinismus gab es zwar immer wieder Versuche, die Defizite der Zuchtwahltheorie darzustellen und auch andere Begründungen zu suchen, doch konnten diese bis in jüngste Zeit kaum in die allgemeine Evolutionsdebatte eingebracht werden.
Inzwischen mehren sich aber die Stimmen, welche fundamentale Zweifel an der Allgemeingültigkeit der Anpassungs- und Züchtungsmetapher anmelden und die Forderung erheben, nach neuen Begründungen für den stammesgeschichtlichen Wandel zu suchen.
Neben älteren, auch prominenten, Biologen und Genetikern wie Hugo De Vries oder Thomas Morgan, die diesen Versuch unternahmen, sind vor allem Matoo Kimura (1983) mit der neutralen Theorie, Gould & Lewontin (1979), die die Anpassung als Pangloßsches Argument brandmarken, Josef Reichholf (2004) und die Vertreter der Frankfurter Schule. Vor allem aus der letztgenannten Gruppe stammt eine Publikation, welche die Anpassungsmetapher und ihre Zurückweisung dezidiert  zum Thema macht.
Daß auch Karl Popper. Schon in den 1980er Jahren einen Denkansatz des „Aktiven Darwinismus“ vorstellte (S. Edlinger 2009), das in schrofferem Gegensatz zum traditionellen „Passiven Darwinismus“ stand, als womöglich Popper selber beabsichtigte, sei nur am Rande erwähnt.
In jerer Zeit setzt sich auch Martin Lödl sehr intensiv mit dem traditionellen darwinistischen Ansatz auseinander. Von ihm stammt auch die Formel „Überleben des gerade noch üÜberlebensfähigen“.
In diesem Beitrag soll nun der Versuch unternommen werden, einige der argumentativen Säulen der Anpassungsmetapher, die häufig Eingang auf die Beispielsebene finden und auch in der populäreren Literatur wegen ihrer scheinbaren Evidenz oft erwähnt werden, kritisch zu würdigen.
Weiters sollen für die Lebensfähigkeit der Organismen in speziellen Lebensräumen sowie für das in vielen Fällen beobachtbare Zueinanderpassen von Lebensraum bzw. Umwelt und Organismus Begründungen aufgezeigt werden, welche die problematische Denkfigur der Naturzüchtung entbehrlich machen.

Die „ironische“ Seite des Darwinismus

In den modernen Wissenschaften kann in den letzten Jahren ein Trend beobachtet werden, der in vieler Hinsicht Anklänge an das aufweist, was gemeinhin unter dem Kürzel „Postmoderne Unverbindlichkeit“ zusammengefaßt wird.
Dieser Trend läuft ebenfalls in die Richtung einer hochgradigen Unverbindlichkeit, ohne daß dies den Proponenten und dem akademischen Publikum auch immer voll zum Bewußtsein kommt. Er ist vor allem dadurch charakterisiert, daß die empirischen Befunde der Naturwissenschaften, sogenannte „Harte Fakten“, wenn man so will, nur und ausschließlich in ganz bestimmten Kontexten berücksichtigt und diskutiert werden, welche ihrerseits der kritischen Reflexion weitgehend entzogen bleiben und dies vor allem deshalb, weil sie auf wenig konsistenten und soliden Fundamenten ruhen.
John Horgan, ein amerikanischer Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalist prägte für solche Trends und Tendenzen den Terminus „Ironische Wissenschaften“. Er meint ironische Wissenschaften vor allem in der Physik und hier wieder hauptsächlich in der Kosmologie zu erblicken, deren meiste Modelle er für zwar äußerst intelligent und komplex, aber letztlich auch schwach begründet und nur in einem speziellen, eigens konstruierten Kontext argumentierbar hält.
Gute Beispiele für ironische Wissenschaften aus anderen Bereichen wären thermodynamische Modelle, die Chaostheorie und ihr Gebrauch für die angebliche Erklärung und Begründung biologischer Strukturen und Ordnungszustände wie Farbmuster oder die Gestalt von Pflanzen und Tieren, die Synergetik und viele andere mehr. Immerhin handelt es sich bei all diesen Ansätzen um Gedankengebäude und Begründungsmuster, die in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit, auch unter Biologen, ernsthaft diskutiert werden und deren ironischer Charakter kaum bewußt gemacht wird.
Dieser wissenschaftlichen Öffentlichkeit hielt Allan Soukal (1999) einen Spiegel vor, als er mit einem physikalischen Nonsens-Artikel an eine angesehene Zeitschrift herantrat und auch ohne besondere Schwierigkeiten dessen Publikation erreichte. Soukal, der auf der Basis dieses Ereignisses den modernen Wissenschafts- und Publikationsbetrieb insgesamt einer umfassenden Kritik unterzog, prägte dabei den auch für viele Aspekte der ironischen Wissenschaften durchaus zutreffenden Ausdruck „fashionable nonsense“, als eleganten Unsinn.
Doch wie bereits festgestellt konzentrieren sich sowohl Horgan als auch Soukal vor allem auf die Physik. Ironische Wissenschaften können aber auch und vor allem in der Biologie aufgezeigt werden und hier beileibe nicht nur in der scheinbaren Begründung von Formen und Mustern durch die oben erwähnten Modelle, sondern auch und vor allem in Form von Modellen und Denkansätzen, die sich auf die Genetik und die Evolution beziehen.

Passen und Angepaßtsein – passend muß nicht angepaßt sein

Für das Thema unabdingbar scheint eine terminologische Unterscheidung zwischen Passen und Angepaßtsein. Es kann nicht bestritten werden, daß es zwischen den Organismen und ihrer jeweiligen Umwelt Beziehungen gibt, die das Überleben der ersteren wenigstens für eine begrenzte Zeit ermöglichen. Diese Beziehungen – und das ist eine Binsenweisheit – hängen sowohl von Eigenschaften der Umwelt als auch der  sie besiedelnden und nutzenden Organismen ab.
Ein Zueinanderpassen bzw. „Passen“ von Umwelt und Organismen kann nun unterschiedlich ausgeprägt sein. Es gibt unter den Lebewesen Universalisten verschiedenen Grades, die von ihren Möglichkeiten und Angeboten her äußerst unterschiedliche Habitate, Biotope und Lebensräume besiedeln können, während auf der anderen Seite auch extreme Spezialisten existieren.
Die unspezialisierten Universalisten als Anpassungsphänomene, und zwar als angepaßt an eine Vielfalt von verschiedenen Umwelten bzw. an einen Wechsel von Lebensbedingungen zu interpretieren, käme einem inflationären Gebrauch des Anpassungsbegriffs gleich. Angepaßtheit, Angepaßtsein würde mit Überlebensfähigkeit und verschiedenen Umständen gleichkommen. Letztlich würde damit alles und nichts erklärt.
Andererseits kann auch bei den extremsten Spezialisierungen, bei sehr intensiven, engen Beziehungen zwischen Organismen und begrenzten Umwelten, zwar von Zueinanderpassen gesprochen werden, aber nicht von Angepaßtsein. Denn dies müßte mit einer Rekonstruktion des Anpassungsprozesses als züchtungsanaloge Einwirkung der Außen- bzw. Umwelt auf die Organismen verbunden sein.

Zur „Zuchtwahl“

Um das Problem zu erläutern, möge die Züchtungsmetapher kurz abgehandelt werden.
Das wesentlichen Attribute des Lebens schlechthin, die Spontaneität und die Autonomie sind durch die für die Zucht notwendige weitgehende Frembe-stimmung, vor allem durch die rigorose Beschränkung der genetischen Rekombinationsmöglichkeiten durch fremdbestimmte „Zuchtwahl“ aufgeho-ben.
Diese Organismen sind dann, zum Unterschied vom sog. „Wildtyp“ tatsächlich weitgehend extern bestimmt und damit, je nach züchterischem Geschick und Glück, an die Wünsche und Ziele des Züchters mehr oder weniger „angepaßt“
Der Kontext, der solchermaßen hergestellt wird, widerspricht in mehreren Punkten dem, was für das Reproduktionsverhalten von Pflanzen und Tieren unter „natürlichen“ oder naturnahen Bedingungen angenommen werden muß.
Denn der menschliche Züchter, dem absichtsvolles und zielgeleitetes Handeln unterstellt werden kann, existiert unter diesen Bedingungen nicht. Es sei denn, man postuliert göttliche Eingriffe. Dann aber würde man den Boden der neuzeitlichen Naturwissenschaft wohl verlassen.
Die Pflanzen können zwar ihren Lebensraum oder Biotop nicht verlassen, verteilen sich aber durch Samenverbreitung generell auf eine Weise, die absichtsvolle Ansiedlung ausschließt. Sie ist von den parentalen Organismen nicht determinier- und beeinflußbar. Vor allem können von diesen kaum unterschiedliche Überlebenschancen abgeleitet werden.
Dasselbe gilt für Sporen, die zwar auf bestimmte Transportmechanismen angewiesen sind, aber in bezug auf die Eigenschaften der späteren Pflanzen keinen selektiven Auswahlprozessen unterworfen sind.
Die Erschließung von Lebensräumen erfolgt so eher stochastisch, nach zufallsähnlichen Kriterien. Die interne Konstruktion entscheidet dann über Untergang oder Überleben, keinesfalls aber die vorausgehenden Anpassungs-prozesse.
Bei Tieren muß ebenfalls ein Auseinanderklaffen zwischen dem aktiv initiierten, natürlichen Paarungsverhalten und der Züchtermetapher vorausge-setzt werden. Da die bewußte, von Zielvorstellungen geleitete Überprüfung der am Reproduktionsprozeß beteiligten Individuen auf Fertilität und genetische Konstitution entfällt, beruhen deren Fortpflanzungschancen auf völlig anderen Faktoren.
Eigenschaften, die die Paarungschancen vergrößern, müssen in keiner Weise mit Eigenschaften korreliert sein, die die Überlebenschancen der Nachkommen in bestimmten Lebensräumen positiv beeinflussen. Bestes Beispiel dafür sind Exzessivorgane und Exzessiventwicklungen, die bereits Darwin („Geschlechtliche Zuchtwahl“) und seit ihm zahlreiche weitere Evolutionstheoretiker beschäftigten.
Dieser Aspekt wird in zahlreichen Publikationen, anstatt als eklatanter Gegenbeleg als die darwinistische Theorie bestätigende evolutive Sackgasse vorgestellt, für die offenbar in einem weniger eng verstandenen Darwinismus Platz sein muß.
In die Gruppe von Extrementwicklungen gehören auch einige als Metaphern und Beispiele für angeblich erfolgreiche Anpassung verwendete Entwicklungen, bei denen die „Nachteile“ offenbar zutagetreten, ohne jedoch von den Protagonisten überhaupt bemerkt zu werden. Das Beispiel der Giraffe bietet geradezu paradigmatisch an.
Angeblich soll bei der Evolution der Giraffidae ein Selektionsdruck bestanden haben, durch Vertikale „Streckung der Körperkonstruktion die Kronenregionen der Bäume von Savannen als Nahrungsquellen zu erschließen. Nur zeigt aber schon die bloße Beobachtung, daß die Giraffen auch versuchen, an niedrigere Äste heranzukommen, was erhebliche Anstrengungen verursacht. Die Wasseraufnahme wird bereits zu einem energiezehrenden Vorgang und auch Stürze, die zum „Umfallen“ führen, können letale Konsequenzen haben.

Von einer nichtadaptationistischen Sicht her handelt es sich bei Exzessivorganen lediglich um Extreme, die einen allgemeinen Trend der Evolution in besonders deutlicher Weise demonstrieren. Vor allem besteht von seiten einer wohl nicht absichtsvoll handelnden Umwelt nicht die Möglichkeit, in Notsituationen der einem (ohnehin nicht bestehenden aber spekulativ einmal zugestandenen) „Zuchtziel“ nahen Individuen deren Lebenssituation durch Eingriff von außen zu verbessern und so ihre Lebens- und Reproduktionschancen zusätzlich zu einer etwaigen biologischen „Fitneß“ zu erhöhen. Ebenso kann unter „natürlichen“ Bedingungen die Rolle kontingenter Ereignisse, von „Zufällen“, die aus anderen Geschehensketten auf Lebensschicksale einwirken, nicht ausgeschaltet werden, die dazu führen, daß Organismen, die biologisch gesehen für eine aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt und eine erhöhte Reproduktion gut gerüstet wären, bei katastrophalen Ereignissen zugrundegehen.

Genetische Drift, also die Veränderung bestimmter Genfrequenzen nach dem Zufallsprinzip, die in Rahmen der Synthetischen Theorie durchaus akzeptiert wird, spricht gegen zuchtanaloge Ausleseprozesse. Eine methodische Betrachtung, die die Pflanzen- und Tierzucht als methodische Grundlage für Evolutionsmodelle verwendet, muß, was nicht bislang geschah, auch die Probleme mitbedenken, die in der Zucht auftreten. Es handelt sich um die immer wiederauftretende Vernichtung günstiger „Genkombinationen“ durch „Ausmendelung“ und Inzuchtdepression (Autoren). Günstige Eigenschaften wie Widerstandfähigkeit oder gute Erträge sind nach klassischer Lesart auf besondere genetische Kombinationen zurückzuführen.

Die Entstehung jeder neuen Generation von sich sexuell fortpflanzenden Lebewesen (und dies sind unsere Nutzpflanzen und -tiere) ist aber mit der Bildung von haploiden Gameten und deren Verschmelzung zu diploiden Zygoten verbunden. Weder die genetische Ausstattung der Gameten noch ihre Chancen, in die nächste Generation einzugehen, können durch die Züchter oder gar die sexuell aktiven Individuen beeinflußt werden.

Das Resultat ist eine von Generation zu Generation neue genetische „Durchmischung“ und Rekombination, die den Zuchterfolg dann zunichte-macht, wenn die genetische Vielfalt nicht durch drastische Maßnahmen radikal einschränkt wird.

Dies ist nur über Inzucht möglich. Sie kann über rigorose Fortpflanzungs-beschränkungen oder auch und besonders durch extreme Anwendung der künstlichen Befruchtung und Besamung erfolgen. Starke genetische Vereinheitlichung macht zwar weitgehende Voraussag-barkeit bei Neukreuzungen oder Heterosis-Zuchten möglich, führt aber eben nicht nur zu einer immer größeren Einheitlichkeit bei den erwünschten Eigenschaften, sonder auch bei genetischen Defekten. Die genetische Verarmung, auch Ahnenverlust genannt, weil sich durch Paarungen von nah verwandten Lebewesen die Zahl der Vorfahren in den vorausgehenden Generationen vermindert, bedingt in den meisten Fällen auch Gefährdung und die immer besser bekannten Erscheinungen der Inzuchtdepression[1] (Kräusslich/Brem 1997, Srb/Owen/Edgar 1965, Meuwissen/Luo 1992, Quaas 1976, van Raden 1992).

Der Ausweg aus den theoretischen Schwierigkeiten, die durch Anwendung der Züchtungsmetapher auf Evolutionsfragen entsteht, kann nur in einer Evolutionstheorie liegen, die die Autonomie der lebenden Organismen gegen-über der Umwelt und vor allem ihre operationale Geschlossenheit stark macht. Dies äußerst sich dann darin, daß Beziehungen zur Umwelt prinzipiell vom Organismus aus rekonstruiert werden und daß dieser im Modell von seinen inneren Notwendigkeiten, von den Zwängen eines friktionsfreien Energiewan-dels und einer ungestörten inneren Rhythmik her jene Verbindungen eingeht, die sein Überleben fördern, andere aber verhindert, soll er nicht der Autode-struktion anheimfallen. Im Internetlexikon Wikipedia steht dazu: “Inzuchtdepression ist eine Erscheinung, die nach extremer Durchführung des ‚darwinistisch’ (!, Anm. durch den Autor) motivierten und begründeten Zuchtprogramms nunmehr schon ganze Bestände von Nutzpflanzen und -tieren gefährdet. Rezessiv vererbte Defekte treten in Populationen mit genetisch nahe verwandten, weil durch ständige Inzucht entstandenen Individuen häufiger homozygot auf. Ebenso beeinträchtigt genetische Verarmung, wie sie Auslese nach darwinistischem Prinzip bewirkt, auch ohne phänotypisch manifeste schwere Defekte generell die Vitalität.“

Die Organismische Konstruktionslehre

Eine Wende in der Evolutionsdebatte brachten einerseits, wie bereits erwähnt, Gould & Lewontine (1979) und andererseits die Kritische Evolutionstheorie oder Organismische Konstruktionslehre, die in Frankfurt am Main entwickelt wurde und sich sukzessive zur Betonung der aktiven, autonomen Rolle der Organismen hin entwickelte, der in einigen grundlegenden Arbeiten und Vorträgen das ausschließliche Anpassungsdenken des von ihm so bezeichneten „Passiven Darwinismus“ in Frage stellte und als Alternative einen „Aktiven Darwinismus“ entwickelte, der den Eigenschaften der Organismen eher gerecht wird und gravierende Fehler der herkömmlichen Evolutionstheorie vermeidet.
Die Organismische Konstruktionslehre entstand in Frankfurt/M. um Wolfgang Friedrich Gutmann, Dieter Stephan Peters, Manfred Grasshoff, Dieter Mollenhauer, sowie in den letzten Jahren auch Michael Gudo und Tareq Said zu nennen. Sie legte ein Organismuskonzept vor, das nicht nur aufzeigt, wie die Gesetzmäßigkeiten der anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen ohne theoretische Ungereimtheiten in biologische Theorien integriert werden können, sondern auch und auf ihrem Organismuskonzept fußend, die weitgehende Autonomie der Lebewesen gegenüber ihrer Außen- und Umwelt begründet.
Jeder Organismus ist nach dieser Theorie konstruktiv zu verstehen. Er ist ein mechanisches, energiewandelndes, hydraulisches System, das durch Wechselwirkung von hydraulischer Füllung und äußerer, meist membranöser Begrenzung primär zur Kugelform tendiert und sich durch selektiv durchlässige Membranen nicht nur gegen die Außenwelt abgrenzt, sondern gerade durch diese selektive Durchlässigkeit mit ihr jene Kontakte herstellen kann, die aus inneren Notwendigkeiten des Organismus heraus eingegangen werden müssen. Niemals geht diese Kontaktaufnahme primär von der Umwelt aus.
 Der Antrieb der Gesamtkonstruktion kann nur dann funktionieren, wenn die Energiewandlerstrukturen in ein kohärentes mechanisches Gefüge eingehängt sind, das mechanisch und operational abgeschlossen ist, im Inneren aber Strukturen besitzt, die von der makromolekularen Ebene bis auf Teilorgane und die Gesamtkonstruktion hochleiten, durch Energiewirkung also den mechanischen Verband deformieren.
Die Stufung führt vom Aktomyosin-System, das Freiheit für Verschiebungen hat, über die elektronenmikroskopische Struktur der Muskeln, die Muskel-Faserorganisation, das den gesamten Körper vernetzende und die Formhaltung bewirkende Bindegewebe zur propulsorisch bewegten Gesamtapparatur, die in ihrem mechanischen Zusammenhang arbeitet und dabei Zwangsführungen kennt, die solche Deformationen ausschließen, die in der Bionomie nicht gefordert sind, oder sinnlosen Energieverbrauch bewirken.
Tatsächlich ist die Darstellung des Materie- und Energiekataraktes unzulänglich, weil die Aktion der lebenden Maschine aus simultaner Kausalität und zusammenhängendem Agieren aller Strukturen besteht, nicht aber aus einer Abfolge von Aktionen.
Durch innere fasrige Verspannung oder äußere Vergurtung werden von der Kugelform abweichende Formen hergestellt und gesichert. Die Verspannungen und Vergurtungen stehen in einem antagonistischen Verhältnis zur Hydraulik.
Leben ist energiegetriebenes Geschehen. Organismen arbeiten aus sich heraus. Sie verformen sich durch Kontraktion von Fasern unter Energieverbrauch. Die zu dieser aus dem Inneren heraus angetriebenen Arbeit nötige Energie wird durch Absorption von Strahlung (bei Pflanzen und phyotosynthetischen Bakterien), durch Materialzufüh-rung sowie darauffolgende chemische Wandlungsprozesse beschafft. Die Energieversor-gung wird aber grundsätzlich immer aktiv durch den Organismus initiiert, dieser kann also nicht, wie in verschiedenen physikalisch inspirierten Organismustheorien als passiv durch Materie und Energie durchströmt angesehen werden.
Die Chemismen, die den Energiewandel ermöglichen und zum Aufbau körpereigener Substanzen nötig sind, sind an die mechanische Konstruktion gebunden. Sie haben keine hierarchische Sonderstellung, sondern werden ja nach den physiologischen Notwen-digkeiten aktiviert oder abgeschaltet. Der Mechanik kommt auch hier eine wichtige Rolle zu.
Die Organismen sind ständig zur Energieaufnahme bereit, ja ihre innere selbst-generierte Aktivität besteht im wesentlichen aus Aufnahme und Wandel von Energie. Dadurch entsteht zwangsweise das Bedürfnis, Überangebote, übermäßig aufgenommene Energie abzuleiten und zu entsorgen.
Dies geschieht durch verstärktes Anarbeiten gegen Widerständigkeiten der Außen-welt, durch Wachstum und auch durch reproduktive Proliferation, das heißt Fortpflan-zung. Kompensation erfordern auch der ständige selbst initiierte Kontakt mit den Widerständigkeiten der Umwelt und das aktive Einschalten in deren Energieströme.
Umweltbeziehungen
Umweltbeziehungen können grundsätzlich nur vom Organismus her entstehen. Ein bestimmtes Lebewesen kann entweder in einer bestimmten Umwelt, in einer ökologischen Nische oder in mehreren, existieren oder nicht. Wenn nicht, wäre es für stammesgeschichtliche Anpassung, die nach Darwin und Wallace Generationen brauchen würde, ohnehin zu spät.
Lebensräume werden also von den Organismen immer aktiv erschlossen. Die Möglichkeiten der Erschließung hängen von ihren jeweiligen Möglichkeiten ab, die durch die Konstruktion gegeben sind. Niemals konnte Umwelt einen im mechanistisch-darwinistischen Sinne formenden Einfluß auf die Organismen ausüben Es gibt daher keine stammesgeschichtliche Umweltanpassung, sondern nur eine Eigenentwicklung des Lebens, bei der Umwelt ständig aktiv und immer wieder neu erschlossen wird.
Damit erledigt sich die Anpassungsvorstellung des Darwinismus, ohne daß auch die Evolution der Organismen als Begründung für Lebensfähigkeit und Vielfalt aufgegeben werden müßte. Dem Argument, es würden durch Selektion allmählich Optimierungsprozesse in Gang gesetzt, kann mit der durch sexuelle Rekombination ständig neuen Durchmischung des Erbguts begegnet werden.

Externselektion stabilisiert, schafft aber nichts Neues

Selektion ist unter diesen Voraussetzungen nicht ausgeschaltet, doch spielt sie eine wesentlich andere Rolle als der Traditions(und Neo-)darwinismus sugge-riert.
Sie stabilisiert einerseits – und dies ist ohnehin der wichtigste Aspekt – das Funktionieren des Stoffwechsels, des mechanischen Apparats und der Fortpflanzung, anderseits ein Minimum an Kompatibilität mit der Umwelt, die aber durch die Möglichkeit der Existenz nach aktiver Erschließung ohnehin gegeben ist. „Züchterische“ Einflüsse lassen sich dagegen nicht konsistent belegen.
Die Evolution
Auf dieser Basis kann nun die Evolution, der stammesgeschichtliche Wandel der Lebwesen, neu rekonstruiert werden. Er besteht prinzipiell im Wandel energiewandeln-der, spontan agierender und weitgehend autonomer hydraulischer Konstruktionen. Die können sich Schritt für Schritt, prinzipiell nur über voll lebens- und funktionsfähige Zwischenstadien abwandeln, wobei die möglichen Abwandlungswege und –bahnen durch die Stammkonstruktionen limitiert sind.
In den letzten Jahren wurden zahlreiche Modelle erarbeitet, die schließlich zu einem generellen Schema des organismischen Wandels mit Schwerpunkt auf der Evolution der Tiere zusammengefaßt wurden.

Die Konsequenz für die „Natürliche Zuchtwahl“ im Darwinismus

Natur erweist sich als ein sehr komplexes Bündel verschiedenster Umwelteigenschaften und -einflüsse, die sehr stark wechseln können. Organismen, die sich spezialisieren oder der Möglichkeit zu einem Auswandern und zum Erschließen neuen Lebensräume verlustig gehen, könnten in diesem Wechsel überhaupt nicht bestehen.
Nur ihre weitgehende Autonomie und Internbestimmtheit sichern ihre Existenz und Reproduktion.
Wie die Züchtererfahrungen zeigen, konnte noch niemals, und dazu wäre die verfügbare Zeit auch viel zu kurz, durch „künstliche Zuchtwahl“ im Sinne des Darwinismus eine neue Art oder auch nur eine neue tierische oder pflanzliche Konstruktion herausgezüchtet werden. Was sich veränderte, waren stets Veränderungen in Merkmalsfrequenzen. Sie betrafen aber immer Merkmale, die in den Wildpopulationen bereits vorhanden waren. Diese Art von Veränderungen bezeichnete J. Reichholf (2004), der inzwischen ebenfalls in die nichtdaptationistische Kerbe schlägt, treffend als das „Oberflächengekräusel“ der Evolution.
Keineswegs kann aber mit den Erfahrungen der Zucht der grundlegende Prozeß in der Evolution, der in tiefgreifendem Konstruktionswandel besteht, erklärt und begründet werden.
Werden diese Einschränkungen, ja prinzipiellen Grenzen züchterischer Veränderung nicht mitbedacht, kann nur eine Evolutionstheorie entstehen, die von vorneherein mit schweren theoretischen Defekten behaftet ist. So erweist sich die darwinistische Evolutionstheorie als typische Schöpfung des 19. Jahrhunderts.
Wie anders hätte wohl eine Evolutionstheorie ausgesehen, die nicht von Züchtererfahrungen, sondern von der Praxis des nichtzüchtenden Nomaden, etwa des Rentierjägers ausgeht?

Das Problem der Domestikation: Nutztiere und Nutzpflanzen

Es wäre wohl, zum Unterschied vom Darwinismus eine Frage beachtet worden, die sich bei einer Rekonstruktion der Domestikationsgeschichte von Pflanzen und Tieren aufdrängt: Warum erfolgte die Domestikation, die Umwandlung von Wild- in Nutzpflanzen, von Wild- in Nutztiere bei manchen Arten quasi von selbst oder wenigstens nur teilweise unter planmäßigem Eingriff, und warum gelang die Domestikation anderer Arten trotz intensivster Bemühungen nicht?
Als Beispiel für viele mögen die Pferdeartigen (Equidae) gelten. Während  aus asiatischen Wildpferden (Equus ferus) die Domestikation und Züchtung zahlreicher Nutzrassen gelang, zeigen sich außer dem Esel (Equus asinus) die meisten anderen Arten der Familie resistent gegen alle derartigen Versuche.
Daß unter den Hundeartigen bislang nur der Wolf offenbar mehrfach zu Haushunderassen domestiziert wurde und sich als äußerst plastisch erwies, steht in krassen Gegensatz zu den Verhältnissen bei den meisten übrigen Arten .
Das gleiche Bild zeigt sich bei Rindern, Hühnern, Enten und allen übrigen Gruppen, aus denen Nutztiere herausgezüchtet wurden.
Und auch bei den Nutzpflanzen. Die Steppengräser, welche zu den in Eurasien und Nordafrika gängigen Getreidearten, stehen einer großen Zahl verwandter Arten gegenüber, die lediglich als Futtermittel genutzt werden konnten.
Die Aufzählung ließe sich beliebig lange fortsetzen, doch zeigt auch die kurze Auswahl, daß züchterische Einwirkung nur bei wenigen Arten erfolgreich ist, während die meisten Bestrebungen bislang fehlschlugen. Damit erweist sich die Züchtungsmetapher wieder einmal als Fehlspekulation, die nur auf eine begrenzte Auswahl an Objekten anwendbar ist.

Kulturfolge und Verstädterung

Ein Phänomen, das während der langen Geschichte der Menschheit immer wieder auftrat, ist die Kulturfolge vor allem von Tieren. Arten, die typischerweise in Lebensräumen vorkommen, die sich signifikant von der durch den Menschen geprägten Umwelt unterscheiden, dringen in oft kurzen Zeitzräumen in den Lebensbereich des Menschen ein, vermehren sich dabei in vielen Fällen massenhaft und beschwören dadurch auch Gefahren für die Ernährung oder Gesundheit großer menschlicher Populationen herauf.
Diese Kulturfolge kann aber, schon aufgrund der Zeiträume, in denen sie vonstatten ging und geht, keinesfalls als Ergebnis tiefgreifender Umwandlungen oder gar evolutionärer Schübe erklärt werden, sondern ist schlicht und einfach auf schon vorhandene Dispositionen der daran beteiligten Arten zurückzuführen. In vielen Fällen weisen die neuen Habitate Gemeinsamkeiten mit den natürlichen auf. In anderen werden Verhaltensoptionen und Fähigkeiten relevant, iführen können, die kaum prognostizierbar sind. Vor allem ist, ähnlich wie bei der Domestikation, nicht voraussehbar, welche Arten unter welchen Bedingungen für Kulturfolge in Frage kommen und welche nicht. Von einem züchterischen Einfluß der neuerschlossenen Lebensräume kann aber keine Rede sein.
Es kann nur von einem aktiven Erschließen neuer Lebensräume auf der Basis bereits vorhandener Eigenschaften und Fähigkeiten gesprochen werden. Genau solche Vor-gänge können Modelle für Faunenveränderungen vergangenen Epochen der Erdge-schichte bilden.

Neobionten

Noch besser eignet sich dafür das Beispiel der invasiven Arten. Invasionen standort- und landesfremder Arten sind schon lange beschrieben und es liegt die Vermutung nahe, daß zahlreiche z. B. in den verschiedenen europäischen Ländern als autochthon geltenden Arten dies nur deshalb tun, weil erst vor etwas mehr als zwei Jahrhunderten damit begonnen wurde, systematisch Aufzeichnungen zu erstellen.
Durch den Aufbau eines immer dichteren Verkehrsnetzes und zahlreicher neuer Handelsverbindungen  kam es zunehmend neben dem Transport von Handelsgütern auch zur unbeabsichtigten Begleiterscheinung der Verschleppung zahlreicher Pflanzen und Tiere.
Mit teils sehr einschneidenden Konsequenzen. Natürlich ist es nach wie vor die Regel, daß neu eingeschleppte Pflanzen oder Tiere nach kurzer zeit wieder aussterben, sei es aus Mangel an Fortplanzungspartnern oder aufgrund übergroßen Existenzdrucks durch andere, in die jeweilige Flora oder Fauna gut integrierte Arten.
Andererseits legen zahlreiche Beschreibungen Zeugnis für regelrechte Invasionen neuer Arten ab, die durch Massenvermehrung zu tiefgreifenden Veränderungen m ökologischen Gefüge weiter Landstriche oder von Gewässern führen können und oft Grundlage irreversibler Veränderungen werden. Es handelt sich dabei meist um Arten, die im Herkunftsgebiet wenig auffällig, vor allem nicht dominant sind. Oft unterscheiden sie sich auch ökologisch in den neu erschlossenen Gebieten von ihren Artgenossen in den alten Lebensräumen.
Als ein Beispiel für viele möge das Drüsige Springkraut Impatiens  glandulifera gelten, das sich in Europa im Gegensatz zu seinem Herkunftsgebiet im Himalaja massenhaft, bis zur Schädlichkeit, vermehrte und sich auch ökologisch anders verhält Kegel 1999). Oder die Ostafrikanische Achatschnecke Achatina fulica, welche seit Beginn des 19. Jahrhunderts eine explosionsartige Vermehrung in Asien, im pazifischen Raum Amerika erfuhr  (Abbott 19489. Mit der Folge, daß zahlreiche autochthone Arten dem übermäch-tigen Konkurrenzdruck erlagen.
Eine „Schneckenpest“ ähnlichen Ausmaßes erfuhr Europa durch die Spanische Wegschnecke Arion vulgaris welche sich ebenfalls, unter enormen wirtschaftlichen Schäden explosionsartig verbreitete (Reischütz 1984), ohne zuvor in den Herkunftsgebieten besonders auffällig gewesen zu sein.
Die Reihe von Beispielen ließe sich fortsetzen (Kegel 1999), doch scheint bereits gezeigt zu sein, daß ähnlich wie bei Verstädterung und Kulturfolge auch bei Invasionen durch nichtautochthone Arten bereits vorhandene Eigenschaf-ten der „Invasoren“ deren Erfolg begründen.

Horizontaler Gentransfer als Beispiel der Naturzüchtung?

Immer wieder wird im Zusammenhang mit Anpassung die Entstehung antibiotika-resistenter Bakterien angeführt. Bakterien pflanzen sich zwar nicht sexuell im Sinne der Eukaryonten fort, es kommt aber zu einem ständigen Genaustausch über verschiedene spezielle Mechanismen, die als transversaler Gentransfer bezeichnet werden. Durch Gentranfer, z. B. durch Brückenbildungen oder Phagen(Viren, welche Bakterien befallen und ihren physiologischen Apparat für die eigene Reproduktion „nutzen“), können Teile der Erbsubstanz innerhalb einer „Bakterieart“ übertragen werden. Der Transfer ist aber grundsätzlich auch zwischen verschiedenen „Arten“ möglich. Allerdings stellt sich die Frage, ob bei Bakterien überhaupt von Arten im biologischen Sinn gesprochen werden kann, werden doch unter Arten im biologischen Sinn Organismengruppen mit sexueller Rekombination verstanden.
Mit dem genetischen Material können auch neuartige Eigenschaften übertragen bzw. eingeschleust werden, die bislang unmögliche Reaktionen auf die Außenwelt erlauben. Bei der kurzen Generationendauer von Bakterien kann es sehr schnell zu Massenvermehrungen neuer Stoffwechselvarianten kommen, wie etwa bei antibiotikaresistenten Stämmen. Festzuhalten ist aber, daß in diesem Fall neue Varianten, die nicht durch Selektionsdruck entstanden sind, aktiv bestimmte Lebensräume erschließen.

Parasitismus und Symbiosen

Als Paradebeispiele für Anpassungsprozesse werden immer wieder die oft sehr engen und teilweise auch weitgehend exklusiven Beziehungen zwischen Symbionten oder zwischen Wirten und Parasiten angeführt.
Die gängige und immer wieder neu ins Treffen geführte Erklärung für diese oft sehr komplexe Verhältnisse und auch die oft komplizierten Generationswechsel von Parasiten besteht in der Anpassungsmetapher. Ihre scheinbar unmittelbare Evidenz immunisiert sie geradezu ideal gegen Kritik und alternative Eklärungsversuche.
Die Frage scheint jedoch berechtigt, welcher Selektionsdruck gerade Generations-wechsel nicht nur von äußerster Komplexität sondern auch von höchsten Risken bevorzugt haben sollte.
Die alternative evolutive Begründung, die bei Edlinger (2009) versucht wurde, geht von ursprünglich sehr vielfältigen Beziehungen mit wenig Spezialisierung aus, die durch mangelnden stabilisierenden Selektionsdruck allmählich an Vielfalt verloren, bis sie schließlich auf wenige, lange Zeit hindurch sicher stabile Möglichkeiten beschränkt waren.
So erklären sich nicht nur die oft strenge Wirtsspezifität bei vielen Parasiten, sondern auch die oft sehr engen, exklusiven Beziehungen zwischen Symbionten.
Oder auch viele scheinbare „Täuschungsmanöver“ (Streinzer 2008, Paulus 2010, Spaethe, Sterinzer & Paulus 2010), insektenblütiger Pflanzen, die in den letzten Jahren geradezu zu Paradebeispielen für die biologische Anpassungsmetapher avancierten. Für sie muß aber gelten, was Heikertinger (1954, s. auch Edlinger 2009) schon in bezug auf die Mimikry feststellte: daß es sich um einige wenige Beispiele handelt, die sicher eindrucksvoll erscheinen, aber nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, daß das Gros der jeweiligen Gruppen ohne die solcherart herausgehobenen Fälle ebenfalls existieren kann. Keineswegs kann m Beispiel weil einige Ragwurzarten (Ophrys) „Sexualtäuschung betreiben“ (Paulus. 2007) auf einen Selektionsdruck in dieser Richtung geschlossen werden.
Buntbarsche und der Begriff der „adaptiven Radiation“
Eine scheinbare neue Untermauerung erhielt die darwinistische Anpassungsmetapher durch zahlreiche Beobachtungen und Forschungen an Buntbarschen (Cichlidae) in ostafrikanischen und mittelamerikanischen Seen (Meyer 2009). Die Familie ist äußerst artenreich (mehr als 3000 Spezies) und offenbar äußerst wandlungsfreudig.
Die Arten sind zumeist jung, d. h. aus (erdgeschichtlich) kurz zurückliegenden Aufspaltungen hervorgegangen. In vielen Gewässern leben zahlreiche Arten, die sich vor allem im äußeren Habitus (Färbung) unterscheiden, sehr nahe beieinander. Und dies läßt sehr stark daran zweifeln, ob es sich bei diesen Artbildungsprozessen tatsächlich um „adaptive Radiationen“ handelt, und wenn ja, worin diese bestehen, vor allem, ab sie tatsächlich adaptiv waren und sind.
Denn der Begriff  wirft per se die Frage nach seiner logischen Haltbarkeit auf. Radiation besteht gerade in einem Vordringen einer ursprünglichen Gruppe von Pflanzen oder Tieren in verschiedene Lebensräume. Es handelt sich also um aktives Erschließen, das durchaus zum Besetzen verschiedener ökologischer Nischen führen kann, aber eben nicht adaptiv ist.
Noch problematischer wird der Begriff der Adaptation, wenn er in Verbindung mit sympatrischer Artentstehung verwendet wird (Meyer 2009). Hier kann nur von einer Quasi-Aufteilung ökologischer Nischen gesprochen werden, die durch jenen Konkurrenzdruck bedingt ist, der zwischen den neuen Arten unweigerlich entsteht. Aber auch hier muß gegen eine leichtfertige Verwendung der Anpassungsmetapher eingewendet werden, daß von den neuen Arten nur verschiedene, schon vorhandene Verhaltensoptionen genutzt werden.

Die Färbung von Landschnecken

„Einst meinte man, dass die Variabilität der Häuschenfarbe von Cepaea keine adaptative Bedeutung für die Tiere darstellt. Heute weiss man, dass die Häuschenfarbe und die Bänderung einen Einfluss auf die Sichtbarkeit der Schnecke für Singdrosseln und auf die Körpertemperatur der Schnecke hat.“ (http://www.evolutionmegalab.org)
Ein eindrucksvolles Beispiel für die adaptationistische Begründung von Färbungen bildet neben der durch Heikertinger (1954) vernichtend kritisierten Mimikryhypothese nach Bates) und der aufgrund der Lichtverältnisse evidenten Irrelevanz der Färbungen auch der der „buntesten“ marinen Gastropoden (Meeresschnecken) , die in den letzten Jahren unternommenen Versuche, die  Schalenfärbungen von Landgastropoden, vor allem der Hainschnirkelschnecke Cepea nemoralis auf ihren Anpassungswert zu hinterfragen (Beneke 1995; Cook 2009; Nordsieck 2010). Ein europäisches Projekt, das durch einen eindrucksvollen film von B. Schilthuizen vorgestellt wurde, befaßt sich mit dem „Nutzen verschiedener Färbungsmuster, von denen es bei dieser Species sehr viele gibt. Es gibt einfärbige und gebänderte Formen in den verschiedensten Farbvarianten. Die Genetik dieser Färbungsmuster ist gut  untersucht.
Besonderes Anliegen sind einerseits der vermutete Tarnungseffekt von Farben und Farbmustern, andererseits ihre Rolle beim Wärmehaushalt.
Bändermuster sollen angeblich Freßfeinde, vor allem Drosseln, täuschen, für die gebänderte Schnecken in Hain- und Waldbiotopen unsichtbar werden, also mit dem Untergrund verschwimmen sollen. Das Verhältnis von gebänderten zu ungebänderten, von dunklen zu hellen Tieren wird zum jeweiligen Habitat in Beziehung gesetzt.
Aus den vor allem via Internet gelieferten (z. B.: http://www.weichtiere.at/ Schnecken/land/bänder.html) Darstellungen der laufend ergänzten Untersuchungser-gebnisse geht allerdings durch die Bank hervor, daß diese Zahlenverhältnisse bei gleicher Habitatcharakterisierung sehr unterschiedlich sind, daß also keineswegs auf eine signifikante Relevanz der Färbung für Überleben und „Fortpflanzungserfolg“ von Cepea nemoralis geschlossen werden kann.
Erklärungsbedürftig in derselben Publikation auch eine Abbildung einer Drosselschmiede der Singdrossel (Turdus philomelos) mit zahlreichen Schalenresten, die aber teilweise sehr unterschiedliche Farben aufweisen (was nur durch Wechsel der Jagdareale der Singdrossel oder aber durch das Fehlen einer besonderen Relevanz der Schalenfärbung erklärbar ist. Entsprechend vieldeutig auch die Erklärung auf derselben Homepage:
„Es hat sich erwiesen, dass dunkle Exemplare auf Untergründen mit wenig Vegetation am ehesten übersehen werden. Gelbe Exemplare verschwinden in hell beleuchteten offenen Graslandschaften, während die gebänderten und rosa gefärbten Varianten vor allem im Geäst von Büschen und Sträuchern am besten getarnt sind. Aufgrund der Vielzahl an Habitaten, die Bänderschnecken bewohnen, werden immer manche schlecht getarnten Formen gefangen und gefressen, die anderen, besser getarnten, überleben aber und sichern den Fortbestand der Art. Zusätzlich findet auch eine jahreszeitlich unterschiedliche Selektion durch Fressfeinde statt. In den vegetationsarmen Jahreszeiten werden auffällig gefärbte Schnecken eher gefressen als unauffällig bräunliche, die ihrerseits wieder in den vegetationsreichen Jahreszeiten auffälligen sind und stärker ausgelesen werden.”
Das Zitat erinnert frappant an E. Mayrs apodiktische Forderung, nach ausschließlich adaptiven Erklärungen evolutiver Veränderung.
Ebenso problematisch wirken Karten mit den jeweiligen Anteilen dunkler und heller sowie gebänderter und  ungebänderter Schnecken in den verschiedenen Ländern und Zonen Europas und Nordafrikas.
Hier zeigen sowohl Populationen Algeriens als auch Skandinaviens zum  Teil sehr ähnliche Verteilungsmuster. Die Liste der Ungereimtheiten des Ansatzes ließe sich fortsetzen, doch zeigt auch das hier dargestellte sehr eindringlich, daß wie in zahlreichen anderen Fälle die simple Anpassungsbegründung zu wenig greift.
Fazit
Wie ein notgedrungen unvollständiger und nur einen kleinen Ausschnitt aus dem weiten Spektrum inkonsistenter Begründungs- und Immunisierungsversuche für die Anpassungshypothese zeigt, stellt die Argumentation für dieses zentrale Dogma des Traditionsdarwinismus weit eher einen ideologisch motivierten Schaukampf denn eine rationale Diskussion mit klarem, logischen Duktus dar. Weitgehend stützt sie sich auf eine unklare und gerade deshalb auch schwer zu kritisierende Begrifflichkeit. Vermutungen und saloppe Interpretationen auf der Basis eines allzu weit gefaßten Anpassungsbegriffs ersetzen seriöse Forschung mit klar definierten Fragestellungen und Zielen, bei denen auch präzise angegeben wird, unter welchen Umständen die Adaptationserklärungen für den organistischen Wandel als widerlegt gelten können. 

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